Was uns der Diskurs über die diesjährige Berlinale lehren sollte.
Schon lange nicht mehr wurde so viel über die Berlinale diskutiert, wie in diesem Jahr. Leider ging es dabei vor allem nicht um eine Sache: die Filme. Ich möchte jetzt gar nicht aufdröseln, was genau seit der Abschlussgala am Samstag alles gesagt und geschrieben wurde, auch da ging es ja nur ganz kurz um die Gewinnerfilme und danach viel mehr um das, was die Sieger*innen auf der Bühne gesagt haben. Ich sehe darin auch keinen Skandal oder Anlass jetzt irgendwas „aufarbeiten“ (Claudia Roth) zu müssen, geschweige denn, dass man dafür sorgen müsse, dass so etwas jetzt nie wieder vorkäme (Kai Wegner). Alles was die Künstler*innen auf der Bühne getan haben, ist ihr Recht auf freie Meinungsäußerung und künstlerische Entfaltung wahrzunehmen. Ein hohes Gut. Die Berlinale ist ein politisches Festival. Damit rühmt sich sonst auch immer die hiesige Politik. Jetzt fallen tatsächlich auch mal unbequeme politische Äußerungen, die ich hier gar nicht bewerten will, aber das ist dann auch wieder nicht genehm.
Für mich steht die ganze Debatte um die Berlinale in diesem Jahr vor allem für eine Sache: wir müssen als Öffentlichkeit lernen über Filme zu sprechen. Es kann nicht sein, dass von einem Filmfestival im Nachhinein nur hängen bleibt, welche Politiker*innen eingeladen waren und wie sich welcher Star zu Palästina geäußert hat. Klar kann man jetzt auch sagen, dass die Wettbewerbsfilme in diesem Jahr einfach nicht gut genug waren, damit über sie geredet wird. Das trifft aber nur die halbe Wahrheit. Es stimmt schon, dass der Wettbewerb in diesem Jahr etwas enttäuscht hat und die neue Festivalleitung im nächsten Jahr gut beraten ist, in der Auswahl etwas wilder zu denken; aber gleichzeitig gab der Wettbewerb genug her, um Anhand von den Filmen über unsere Gegenwart zu streiten. Nicht durch Zufall programmierte man beispielsweise die beiden Premieren von Langue Étrangère und A Traveler’s Needs auf den gleichen Tag. Bemerkt hat es in der deutschen Filmjournalie kaum jemand, angesprochen schon gar keiner. In beiden Filmen geht es um Kommunikation, darum, eine gemeinsame Sprache zu finden, um sich selbst und seine Gefühle auszudrücken. Man könnte auf die Idee kommen, dass auch genau das dem öffentlichen Diskurs fehlt. Wir haben Filme über Nilpferde gesehen, die sich mit post-kolonialen Fragen auseinandergesetzt haben oder den Bärengewinner Dahomey (leider wieder ein Dokumentarfilm, aber das ist ein anderes Thema), der nun wirklich offensiv ein ähnliches post-koloniales Thema verhandelt. Wir haben mit Who Do I Belong To von Meryam Joobeur einen Film, der sich damit auseinandersetzt, was das mit einer Familie und im größeren Sinne einer ganzen Region macht, wenn ihre Söhne zum Islamischen Staat gehen. Ein Film, der fragt, wie man mit dem Bösen umgeht und wie schwer es ist anzuerkennen, dass das eigene Kind unmenschliches tut. Darf man es trotzdem lieben? Und wie ist es umgekehrt? Wenn einen die eigene Schuld übermannt? Alles Debatten, die wir aktuell führen. Manch einem (politischen) Kommentator sei zu Wünschen, sich das nächste Mal vielleicht den ein oder anderen Film auf der Berlinale anzuschauen. Der Wille muss bestehen, den Film ernst zu nehmen und sich mit ihm auseinanderzusetzen. Dieser Wille besteht aktuell in der Öffentlichkeit nicht, was der Grund ist, warum wir bei der Berlinale nur über Nebenschauplätze diskutieren, aber nicht über die Kunst, die im Zentrum stehen sollte.
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