Neue Perspektiven auf Shoah – All I Had Was Nothingness auf der Berlinale

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Zum Anlass des 80. Jahrestags der Befreiung von Auschwitz zeigt die Berlinale nochmal „Shoah“ von Claude Lanzmann, wahrscheinlich der einzige einzige Film, den jeder Mensch einmal in seinem Leben gesehen haben sollte. Begleitend dazu läuft der neue Film „Je n’avais que le néant – „Shoah“ par Lanzmann (All I Had Was Nothingness)“ von Guillaume Ribot. Man könnte den Film als eine Art Addendum oder Anhang zu Shoah bezeichnen. Denn er nimmt das Element in den Blick, was Claude Lanzmann in seinem Film weitestgehend ausgelassen hat: sich selbst.

Claude Lanzmann in All I Had Was Nothingness| © USHMM et YAD VASHEM – Collection SHOAH de Claude Lanzmann

Der Film besteht aus ungenutzten Aufnahmen – „outtakes“ – obwohl ich sie nicht so bezeichnen würde, weil das die Kraft schmälert, die immernoch in diesen Bildern liegt. Dazu gibt es ein Voice-Over aus der Perspektive von Lanzmann, was auf Aufzeichnungen von ihm basiert. Es geht vor allem um den Schaffensprozess von Shoah und auch die Hürden und Zweifel, die Lanzmann überwinden musste. Seine Suche nach Überlebenden und die Frage was er überhaupt erzählen will: ist es ein Film über das Überleben oder über den Tod? Wir sehen seine Versuche mit den Tätern zu sprechen, die Raffinessen, die er sich überlegt hat, um sie zum Reden zu kriegen und wie er dabei auch auf krasse Ablehnung gestoßen ist in Deutschland. Den größten Teil aber nehmen die Dreharbeiten in Polen ein, in die Lanzmann skeptisch gestartet ist, sich dann aber als Schlüssel für das ganze Werk erweist. Man gewinnt hier auch einen interessanten Blick auf seine Arbeitsweise. Lanzmann hat so eine direkte Art und Weise auf die Leute zuzugehen und so entstehen diese Gespräche ganz aus dem Moment heraus. Gleichzeitig ist es auch ein großes Zeichen von Mut so auf die Leute zuzugehen, da manch eine Reaktion eben auch verstörend ist. Wenn Lanzmann und seine Crew wirklich vor dem ehemaligen deutschen Sonderkommando Offizier flüchten müssen, dann schockiert das durchaus. Dieser Film ist mit sehr viel persönlichem Einsatz entstanden. Und das wird ganz am Schluss besonders deutlich. Dort platziert der Film eine unglaubliche Szene, die wahnsinnig nahe geht, da man dort zum ersten Mal so wirklich sieht, wie sehr der Mensch Lanzmann mit all dem zu kämpfen hat. „All I Had Was Nothingness“ so beschreibt er die Ausgangslage, mit der er in die Arbeit an Shoah gegangen ist. Es sollte ein jahrelanger Prozess werden, der unglaublich viel von ihm abverlangt hat. „Shoah is a film about eyes that saw“ sagt er am Ende und er hätte mit diesem Film all die Toten die alleine sterben mussten, wiederbelebt, um sie noch einmal zu töten, damit sie nicht alleine sterben müssen. Schlussendlich muss ich meine Aussage vom Anfang direkt revidieren: All I Had Was Nothingness ist nicht bloß ein Anhang, oder ein Making Off und kein Bonusmaterial. Der Film ist eine wertvolle neue Perspektive auf das Epochenwerk „Shoah„, mehr als bereichernd.

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