5 Wünsche an die neue Berlinale-Intendanz

Morgen, am 01.04. übernimmt Tricia Tuttle das Amt als Berlinale-Intendantin und löst die seit 2019 bestehende Doppelspitze von Mariette Rissenbeek und Carlo Chatrian ab. Damit tritt sie eine enorme Aufgabe an: Die 74. Berlinale war die turbulenteste seit Jahren, und das Festival steht vor einer Jubiläumsausgabe. Allen Umständen zum Trotz ist die Stimmung optimistisch, die Chatrian/Rissenbeek-Jahre waren geprägt von verschiedensten Krisen: Die Corona-Pandemie, die 2021 und 2022 den Festivalbetrieb stark einschränkte, und der Ukraine-Krieg sowie der Konflikt in Gaza beeinflussten die Stimmung auf den letzten zwei Editionen maßgiebig. Die politischen Unruhen vor der Eröffnung der 74. Berlinale sowie die Antisemitismus-Vorwürfe nach der Preisverleihung sorgten für heftige Diskussionen. Vielleicht ist die Hoffnung, dass mit einer neuen Leitung alles besser wird, nicht unberechtigt. Man darf nur hoffen, dass Tuttle neuen Schwung in die Berlinale bringt, die in den letzten Jahre in Deutschland aber auch international an Stärke und Bedeutung verloren hat. Sie hat bestimmt schon ihre Ideen, aber hier sind auch von meiner Seite einige Denkanstöße, die dem Festival helfen könnten, zu neuer alter Größe zu gelangen.

Weniger Sundance-Wiederholungen

Das amerikanische Filmfestival Sundance findet jährlich sehr kurz vor der Berlinale statt, und ist für amerikanische Independent-Produktionen von der Sorte A24 Anlaufstelle Nummer 1. Filme die dort laufen, werden oft bereits als Oscar-Kandidaten gehandelt, wie zuletzt Past Lives oder etwas zuvor CODA, der sogar Best Picture gewann. Dass viele Filme der Berlinale absagen, um stattdessen dort zu laufen, ist kein neues Problem. Die Alternativen sind also: man zeigt den Film gar nicht oder man gibt sich damit zufrieden, die zweite Geige zu spielen und statt der Weltpremiere nur die internationale Premiere des Films zu präsentieren. Der zweiten Option schien das Festival immer weniger abgeneigt. Dieses Jahr waren es acht Filme, die in verschiedenen Sektionen der Berlinale von Sundance recyclet wurden. Dass die Berlinale sehenswerte Filme anderer kleiner Festivals nochmal zeigt, ist an sich kein Novum, doch das Ausmaß, in dem die Berlinale zuletzt bereit war, sich in den Schatten dieses viel weniger interessanten Festivals zu stellen und deren oft mittelmäßige Filme zu wiederholen, ist besorgniserregend. Die Berlinale beugt sich dem Populären und den Stars, um etwas mehr mediale Aufmerksamkeit zu erlangen und verliert dadurch an Eigengeschmack. Lohnt es sich, für Kristen Stewart den Status als A-Festival zu verraten? Die Berlinale muss für sich stehen und sollte nicht jeden Quatsch aus Amerika mitnehmen, in der Hoffnung, dass ein paar mehr Klatschblätter darüber berichten. Eine Reduzierung der Beiträge aus Sundance würde dem Festival helfen, den eigenen Charakter mehr in den Vordergrund zu rücken. Stars haben wir auch so genug.

Cineasten-Akkreditierungen

Im letzten Jahr wurden die Ticketpreise für die Berlinale erneut erhöht. Ein normales Ticket für eine reguläre Vorstellung kostete 15€, für den Berlinale-Palast und Gala-Premieren in der Verti Music Hall wurden sogar 18€ verlangt. Über die von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien auferlegten Sparmaßnahmen wissen alle Bescheid, doch bei diesen Preisen wirkt es, als würde Claudia Roth persönlich am Hungertuch nagen müssen. Devote Cineast*innen, die sich gerne mehrere Filme täglich ansehen wollen, und keine Fach- oder Presseakkreditierung bekommen, mussten besonders tief in die Taschen greifen, ganz zu schweigen von Student*innen oder Geringverdiener*innen. Die Alternative für solche Filmliebhaber*innen liegt auf der Hand: Eine Cineasten-Akkreditierung ist bei vielen Festivals bereits Gang und Gebe, sogar Cannes bietet eine Variation dessen für Nicht-Fachbesucher*innen an. Dass es diese bei der Berlinale immer noch nicht gibt, ist eher unverständlich. Wer die Preise jährlich erhöht, sollte seinen loyalsten Besucher*innen anderweitig entgegenkommen, und die Cineasten-Akkreditierung wäre ein willkommener Schritt in diese Richtung. Eine Vergünstigung für reguläre Vorstellungen würde vielen schon reichen, denn, dass „alles teurer wird“, ist als Ausrede einfach nicht mehr zufriedenstellend, wenn man für sieben Berlinale Filme schon einen dreistelligen Betrag hinlegen muss. Die Berlinale bleibt an erster Stelle ein Publikumsfestival und ein neuer Akkreditierungstyp wie dieser wäre wirklich mal an der Zeit.

In-Person Ticket Verkaufsstellen

Um einmal beim Publikum zu bleiben: Es ist verständlich, dass während der Pandemie keine Ticket-Counter zur Verfügung standen, um das Infektionsrisiko zu minimieren, doch warum gibt es sie immer noch nicht wieder? Besonders, da die Bauarbeiten im neuen The Playce abgeschlossen sind, würde es sich anbieten, wie zu präpandemischen Zeiten dort einen Ticket-Counter für die Festivaldauer zu errichten. Der Online-Ticketverkauf birgt seine Vorteile, doch nicht für alle. Besonders ältere Menschen und Personen, die nicht gut mit dem Internet umgehen können, werden zurückgelassen und können kaum Vorstellungen besuchen. Selbst für mich als jemand, der schon oft online auf die Sekunde genau Tickets buchen musste, war es teils sehr schwer Tickets zu bekommen dieses Jahr. Ich möchte mir gar nicht ausmalen, wie frustrierend das für die 66-jährige Tante Heidrun war. Aber es ist nicht nur der Ausschluss einzelner Gruppen, sondern auch die soziale Komponente, die ohne die Ticket-Counter verloren geht. So hässlich die Potsdamer Platz Arkaden früher auch waren, während des Festivals steppte dort (Achtung: Wortwitz!) der Bär. Es tummelten sich Besucher*innen jedes Alters, es gab immer eine Schlange bei den Tickets, dort herrschte eine wunderbare Festivalstimmung. Ich erinnere mich an die Berlinale 2019, als ich mit einer Studentenakkreditierung täglich um 07:00 Uhr morgens in den Arkaden auf dem Boden vor dem Studentencounter saß um meine Tickets zu bekommen. Man hat sich ausgetauscht mit den Leuten in der Schlange: Wer hat was gesehen, was lohnt sich, wovon sollte man fernbleiben. Man lernt so auch neue Leute und Perspektiven kennen, die man in online in der eigenen Filterblase nicht hat. Die letzten Jahre war The Playce ein Trauerspiel, eine halbherzige Nachahmung dessen, was in den letzten Jahren dort noch so schön als Besucherzentrum des Festivals agierte. Als Vorschlag könnte man den Großteil des Ticketverkaufs weiterhin online belassen, und ein Kontingent von 15% bis 25% der Tickets pro Vorstellung exklusiv für eine physische Ticketverkaufstelle reservieren für diejenigen, die sich lieber anstellen wollen. Wir brauchen die Ticketcounter wieder, nicht nur damit endlich wieder jede Gruppe an Menschen die Berlinale besuchen kann, sondern auch damit der Austausch in Person wieder stattfinden kann.

Distanzierung vom BKM

Vielleicht ist das zu viel verlangt, oder sogar ein Ding der Unmöglichkeit, aber das ist gleichzeitig der wichtigste Punkt auf dieser Liste. Vieles von dem, was im letzten Jahr alles so schief gelaufen ist bei der Berlinale lässt sich direkt zu einer Person zurückführen: Der sogenannten Ministerin Claudia Roth. Die unzeremonielle Absetzung der Doppelspitze und des EFM-Leiters Dennis Ruh, die lästigen Sparmaßnahmen und die Einladung der AfD-Abgeordneten sind auf das BKM zurückzuführen. Die KBB, unter der die Berlinale operiert, ist wohl oder übel der BKM unterstellt, doch muss das Festival sich mehr und mehr entfernen von der auferlegten Politik. Die Einladung der AfD-Mitglieder*innen geschah dieses Jahr nicht zum ersten Mal, in den vorigen Jahren waren sie ebenfalls bei der Eröffnung des Festivals anwesend. Diese Einladungen kommen durch die Senatsverwaltung zur Berlinale, die Festivalintendanz trifft diese Entscheidungen nicht selbst, und doch weiß man seit Jahren Bescheid. Dass diese Einladungen, die von weiter oben angeordnet werden, bis zu diesem Jahr nie hinterfragt wurden, ist klar Fehler der Leitung gewesen, doch sollten mehr Entscheidungen aus der Politik hinterfragt werden. Dass Claudia Roth und Kai Wegner beide bei der Eröffnung des Filmfestivals auf der Bühne stehen und Wahlkampfreden halten dürfen, in denen marginal mal das Kino erwähnt wird, ist eine hochgradige Peinlichkeit. Die Politik kann sich nicht erlauben, dass die Berlinale gar nicht oder nur in kleinerem Rahmen stattfindet, und das sollte gegen sie benutzt werden. Keine Reden von Politiker*innen bei der Eröffnung des Festivals, keine Einladungen für Politiker*innen zu Filmpremieren. Wenn die BKM das Budget im Gegenzug noch weiter kürzen wollen sollte, beginnt das Festival wirklich zu bröckeln. Auch die rügenden Worte von Roth und Wegner nach der Preisverleihung zeugen davon, dass die Abspaltung von den staatlichen Geldgebern dringender ist, denn je, denn dass die Kunst und Künstler*innen weiterhin frei bleiben dürfen und auf einer Bühne wie der Berlinale-Preisverleihung ihre Meinung kundtun, ist unerlässlich, solange sie sich im Rahmen der aushaltbaren Meinungsfreiheit bewegen. Man wünscht sich, dass Tuttle sich von der BKM und der Senatsverwaltung weniger gefallen ließe, und statt des Kurses der Regierung lieber der eigene Kurs gefahren wird. Wenn das nicht sofort im ersten Jahr passiert, sondern erst mit der Zeit, dann wäre trotzdem langfristig was gewonnen, denn so wie letztes Jahr darf das nicht nochmal passieren.

Hong Sang-Soo weiterhin einladen

Zuletzt ein persönliches Anliegen. Hong Sang-Soo ist einer der interessantesten zeitgenössischen Filmschaffenden, seine Filme und Ästhetik sind einzigartig in der heutigen Kinolandschaft. In den letzten fünf Jahren war Hong in vier von fünf Malen im Wettbewerb der Berlinale vetreten (und einmal in Encounters) und gewann in jedem dieser vier Jahre einen silbernen Bären. Dass Hong so oft nach Berlin kam, lag einerseits an dessen enger Beziehung zu Carlo Chatrian und dessen rechter Hand Mark Peranson, der bis vor kurzem noch Head of Programming war, andererseits aber auch an Hongs Output von zwei Filmen im Jahr. Seit fünf Jahren läuft einer davon immer bei der Berlinale. Frau Tuttle, laden Sie Hong Sang-Soo weiterhin in den Wettbewerb ein. Kaum eine andere Einzelperson in der Geschichte der Berlinale war derart erfolgreich, eine Einladung zur nächsten Berlinale zu verwehren, käme einem Affront gleich. Berlin und Hong verbindet eine enge Liebesbeziehung, die Sie weiterführen und pflegen sollten, denn beide Seiten profitieren von dieser Zusammenarbeit. Außerdem will ich auf der Berlinale weiterhin seinen neusten Filme sehen können.

Wenn Tricia Tuttle alles oder auch nur einzelne Teile dieser fünf Punkte umsetzen sollte, dann wäre das Festival schon besser aufgestellt als zuvor. In jedem Fall wünschen wir Frau Tuttle viel Erfolg und Geduld bei der Übernahme der Berlinale, sie wird sie brauchen.

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