Es ist mal wieder die Zeit für Jahresrückblicke, doch im Gegensatz zu den letzten Jahren fällt es mir diesmal schwer, mich für eine klare Top 10 zu entscheiden. Vielleicht ist das auch so, weil es für mich dieses Jahr auch keine klare Nummer eins gab, die alles überstrahlt. Was aber nicht heißt, dass es in diesem Jahr nicht genug gute Filme gab, ganz im Gegenteil sogar. Deshalb gibt es hier diesmal keine Liste, sondern einen thematischen Rückblick auf das Jahr.
Viele gute Debüts
Dieses Jahr ist für mich auch ein Jahr der Entdeckungen. Es ging ja schon mit der neuen Berlinale Sektion Perspectives los, in der ich einige vielversprechende Filme gesehen habe und das setzte sich dann auch auf Viennale fort. Ich habe hier ja schon über Filme wie Short Summer von Nasta Korkia oder Strange River von Jaume Claret Muxart geschrieben. Von der Berlinale bleibt mir vor allem Little Trouble Girls von Urska Djukic im Kopf. Im Sommer begeisterte mich dann noch Der Fleck von Willy Hans. Ein Film, der eine Gruppe junger Menschen an einem Nachmittag am Fluss begleitet und sich irgendwann ganz seinen warmen Bildern hingibt, was ihn auch wie einen Sommernachmittag anfühlen lässt. Was diese Filme eint, ist nicht nur ihre junge Perspektive, sondern auch die Art und Weise, wie sie ihre jungen Protagonisten in der Interaktion mit ihrer Umgebung zeigen. Die Darstellung von Natur steht hier oft auch im Zentrum und es ist schon interessant, dass sich so viele junge Filmemacher*innen zu dieser Art von atmosphärischen Coming-of-Age Erzählungen hinziehen lassen. Gleichzeitig sind es oft auch nostalgische Blicke auf die Jugend und den Sommer.
Einen meiner absoluten Lieblingsfilme des Jahres muss ich hier bei den Debüts auch noch erwähnen, auch wenn er nicht ganz dieselben Themen streift, wie die anderen Filme. Es natürlich That Summer in Paris von Valentine Cadic, der eine junge Frau zeigt, die während den Olympischen Spielen durch Paris streift. Es ist ein Film voller Spontanität, der sich auf den Spuren von Rohmer oder Hong Sang-soo bewegt. Das ist dann natürlich genau mein Kino.

Digitales und Analoges
Bleiben wir doch aber mal bei den atmosphärischen Naturdarstellungen. Die haben nämlich so einige Filme in diesem Jahr geprägt. Da wäre zum Beispiel Dry Leaf von Alexander Koberidze, der hier in digital-impressionistischen Bildern auf eine Reise zu den abgelegensten Fußballplätzen Georgiens. Während der drei Stunden Laufzeit versinkt man wirklich in diesen Bildern, was den Film durchaus in eine mit dem bereits erwähnten Der Fleck stellt. Auch wenn beide Filme auf ganz unterschiedliche Weise diesen rauschhaften Effekt erzeugen. Während Der Fleck das Analoge seiner Bilder unglaublich betont, ist es bei Dry Leaf die unglaubliche Digitalität der Bilder. Die Bilder rauschen, so verpixelt sind sie und sorgen so gleichzeitig für diesen famosen Bilderrausch.
Ein weiterer Meister des Digitalen ist Hong Sang-soo, der in diesem Jahr mit What Does That Nature Say to You auf der Berlinale war. Auch wenn ich mich ja sonst als Hong Skeptiker betrachte und nicht bei jedem seiner Filme in das oft große Lob mit einsteige, konnte er mich in diesem Jahr auch von sich überzeugen. Wahrscheinlich liegt es auch daran, dass er sich ähnlichen Themen annimmt, wie die anderen genannten Filme hier. Seine digitale Ästhetik kommt hier für mich auch mal wieder voll zur Geltung. Eine besondere Stärke liegt diesmal darin, wie er seine Figuren in der Natur platziert. Da ist der Titel natürlich auch Programm.
Das Comeback der Spannung
Ein weiterer Trend, den ich in diesem Jahr ausmachen konnte, ist die Wiederkehr der Suspense-Filme. Ganz vorne steht dabei natürlich One Battle After Another der zurecht in den allermeisten Jahresrückblicken ganz oben steht. Viel wurde schon darüber geschrieben, wie sich der Film mit unserer Gegenwart auseinandersetzt. Ist das nun ein Revolutionsfilm oder nicht? Oft blieb man dabei aber auf narrativer Ebene stehen und dann kann ich verstehen, dass man schnell zu dem Schluss kommt, dass der Film einem dahingehend zu wenig anbietet. Erstaunlich wenig findet dabei aber Betracht, dass der Film einfach super spannend ist, besonders im letzten Drittel. Gerade diese unheimliche Dichte, der Alles-auf-einmal-Gestus des Films, ist doch der gesuchte Gegenwartskommentar. Der Film ist unglaublich stressig, kommt nie zur Ruhe und wird so zur Versinnbildlichung einer Zeit, in der eine Krise auf die Nächste zu folgen scheint.
Ähnlich angespannt geht es bei A House of Dynamite Kathryn Bigelow zu, den man ebenfalls als einen „Film der Stunde“ bezeichnen könnte. Denn er warnt uns vor der Unkontrollierbarkeit der größtmöglichen Katastrophe. Eine Atomrakete fliegt auf die USA zu, keiner weiß wer sie abgeschickt hat und die Verantwortlichen wissen zwar theoretisch was zu tun ist, sie haben ihre Protokolle, aber die Situation ist längst aus ihren Händen geglitten. Bigelow zeigt uns das dreimal hintereinander und arbeitet sich dabei die Befehlskette hinauf. Das alles wird dadurch nicht weniger spannend, ganz im Gegenteil. Ebenfalls fast in Echtzeit erzählt September 5 über die Geiselnahme während den Olympischen Spielen in München 1972. Wir erleben das Ganze aus der Perspektive der Fernsehreporter mit. Wie A House of Dynamite ist auch September 5 sehr verliebt darin, die Prozesse zu zeigen. Einmal sind es die Protokolle der US-Administration und im anderen Fall sehen wir die Mechaniken des Live-Fernsehmachens, noch ganz analog in den 70er Jahren.

Ein ganz anderes Tempo schlägt The Secret Agent von Kleber Mendonça Filho an. Dieser Film erzählt viel langsamer und baut ganz gemächlich mit der Zeit seinen Agentenplot auf. Obwohl es ja keine wirkliche Agentengeschichte ist, sondern eher vom Überleben in einer Diktatur erzählt und in dem Sinne, wie die Figuren in diesem Film abtauchen müssen, hat das durchaus Parallelen zu One Battle After Another. Was all diese Filme außerdem eint, ist dass sie nicht vor dem Genre zurückschrecken. Was von diesen Filmen also bleibt, ist, dass das Kino durchaus in der Lage ist, Bilder für unsere aktuelle Gegenwart zu finden. Man darf sie nur nicht an der Oberfläche suchen, sondern muss vielmehr fragen, welches Gefühl von Gegenwart diese Filme vermitteln.
Und sonst?
Doch das waren natürlich nicht alle Filme, die mich in diesem Jahr begeistert haben. Unbedingt noch genannt werden müssen: Brady Corbets größenwahnsinniges Monumentalkino The Brutalist, die warmen Bilder von Dag Johan Haugeruds Berlinale Gewinner Drømmer, der beste Liebesfilm des Jahres Volvereis, Julian Radlmaiers verspielter Ostdeutschlandfilm Sehnsucht in Sangerhausen, die Wiedergeburt des Cinema du Look in L’Amour ouf von Gilles Lellouche, Oliver Laxes böser aber ehrlicher Sirat und Albert Serras nicht weniger schonungsloser Tardes de soledad.

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