Licht und Schatten beim interfilm 41

,

Eigentlich hatte ich dieses Jahr nicht vor, in meinem Text zum interfilm-Festival wieder zu so einer Fundamentalkritik auszuholen wie im letzten Jahr. Mein Plan war diesmal wirklich die einzelnen Filme in den Fokus zu nehmen und zu schauen, was sie mir anbieten. Doch da stößt man schon auf das erste Problem. Über 300 Kurzfilme laufen auf dem Festival, programmiert in unzähligen verschiedenen Programmen. Einen Gesamtüberblick wird man sich nie verschaffen können. Deshalb war mein Plan recht simpel: Ich schaue mir diesmal nur den Deutschen Wettbewerb an, der aus vier Einzelprogrammen besteht. Dazu war ich noch auf der Eröffnung, um mir einen Eindruck zu verschaffen, worauf der Fokus in diesem Jahr liegt und beim Spezialprogramm eject war ich ebenfalls, vor allem für den Spaßfaktor. Aber was soll ich sagen? Nach meiner Erfahrung auf dem interfilm habe ich auch dieses Jahr wenig Lust, über einzelne Filme zu schreiben, vielmehr scheint es mir nötig einmal über das Festival an sich zu sprechen.

Filmstill aus I Am A Flower im Deutschen Wettbewerb | (c) Ariel Victor Arthanto

Es ist nämlich so, dass ich nicht nur in diesem Jahr, sondern auch schon in den letzten Jahren immer häufiger mit dem Gefühl aus den Screenings gekommen bin, hier gerade eigentlich meine Zeit verschwendet zu haben. Das hat mehrere Gründe. Einer davon liegt ganz direkt an der Organisation des Festivals. In diesem Jahr kam es zum Beispiel vor, dass ein Screening, welches ich besuchte mit einer Verspätung von über 30 Minuten überhaupt erst begann. In einem Festivalkontext, wo Leute sich normalerweise recht eng getaktete Pläne zusammenstellen, ist das eigentlich eine Vollkatastrophe. Zum Glück hatte ich danach nichts vor, aber man kann sich vorstellen, wie offen man gegenüber den Filmen ist, wenn man schon relativ schlecht gelaunt in das Screening geht. Dazu kommt, dass ich es mehrmals erleben musste, dass es während den Screenings zu technischen Problemen kommt. Im letzten Jahr lief im provisorischen Kino in der Königsstadt der Projektor erst gar nicht und danach nur in einem ganz abenteuerlichen Bildverhältnis und dieses Jahr merkte eine Filmemacherin im ebenfalls provisorischen Pfefferberg Theater Kino während des Q&A an, dass der Projektor die Farben ihres Films wohl sehr verfälscht dargestellt hatte. Mal davon abgesehen wie diese Malheurs auf die Filmemacher*innen wirken, trübt es auf Dauer wirklich die Freude an so einem Festival. Nun habe ich möglicherweise besonderes Pech, aber wenn sowas immer wieder passiert, frage ich mich schon, ob es nicht vielleicht System hat und warum ich mir das dann immer wieder antue.

Ein weiteres Problem ist die unglaubliche Größe des Programms. Wie bereits erwähnt, laufen über 300 Filme auf dem Festival. Es gibt einen Internationalen Wettbewerb, einen Deutschen Wettbewerb, einen Dokumentarfilm Wettbewerb, einen Umweltfilm Wettbewerb, den European Audience Award, den Spezialwettbewerb eject, ein Fokus Programm, verschiedene andere Spezialprogramme und Events. Wenn man sich dann noch vor Augen führt, dass all diese Sektionen zusätzlich aus verschiedenen einzelnen Programmen bestehen, wird klar, dass es wirklich schwer ist, hier einen Überblick zu erlangen. Das Motto kann wirklich nur heißen, sich einfach irgendwo reinzusetzen und zu hoffen, dass man ein paar gute Filme erwischt hat. Hierbei hilft die Kuratierung der Programme nicht unbedingt weiter. Über mein Problem mit einem Großteil der Kurzfilme auf dem interfilm habe ich im letzten Jahr schon ausführlich geschrieben. Leider hat niemand auf mich gehört. Die Art der Filme hat sich auch in diesem Jahr nicht geändert. Noch immer wird man größtenteils mit Ich-Erzählungen und diesem schwer erträglichen Voice-Over-Kino belästigt. Wirklich visuelles Erzählen findet zumindest im Deutschen Wettbewerb so gut wie gar nicht mehr statt. Es wird mir alles gesagt und nichts gezeigt. Und generell wird in den Filmen ja auch nur noch von sich selbst erzählt. Das ist besonders tragisch, wenn während der Eröffnung noch davon gesprochen wird, dass man mit dem Festivalprogramm unter anderem auch der immer weiter Fortschreitenden Isolierung des Individuums im Kapitalismus etwas entgegensetzen will, die Filme an sich aber keinerlei größere Erzählung mehr bieten können und ganz und gar an der individuellen Erzählung haften geblieben sind. Klar ist die Programmauswahl extrem vielfältig, wenn man sie sich unter repräsentativen Kriterien anschaut. Dann ist hier fast jede gesellschaftliche Gruppe abgebildet und das ist natürlich nichts Schlechtes. Aber all diese Filme erzählen auf dieselbe Art und Weise und werden so gewissermaßen doch wieder gleich.

Eine böse Wurst im Film Vegan Mayo der bei eject gezeigt wurde | (c) Luca Toth

Dass es jedoch auch andere Erzählformen im gegenwärtigen Kurzfilm gibt, zeigen lustigerweise die Filme im eject-Wettbewerb. Dieses Spezialprogramm ist ein Filmprogramm, bei dem laut Beschreibung der „abwegige Film“ im Fokus steht. Die Filme, die dort laufen, gehen meist nicht länger als fünf Minuten und am Ende stimmt das Publikum über einen Favoriten ab. Möglichst schräg und unterhaltend soll die Filmauswahl dort also sein. Was einem hier im starken Kontrast zum restlichen Wettbewerb überraschenderweise nicht begegnet: Voice-Over und Ich-Erzählungen. Den Filmen im eject-Programm geht es nicht darum, durch die gesellschaftliche Relevanz ihrer erzählten Problematik zu punkten, sondern vielmehr wollen sie ein bestimmtes Gefühl erzeugen und sei es zunächst nur das der Irritation oder Belustigung. Das heißt jedoch nicht, dass diese Filme nichts zu erzählen hätten, ganz im Gegenteil sogar. Sie tragen ihre Botschaft nur auf eine andere Art und Weise nach außen. So mag beispielsweise der Gewinnerfilm The Meaningless Daydreams of Augie & Celeste von Pernell Marsden auf den ersten Blick eine düstere Komödie sein, aber anhand dieser Form erzählt er auch davon, wie die Fantasie von kleinen durch gesellschaftliche Erwartungshaltungen geprägt wird. In vielen der Filme wird nicht einmal gesprochen, oder nur sehr wenig, es wird dagegen vor allem visuell erzählt und das funktioniert auch. So gibt es eine Reihe von Animationsfilmen, die sich durch ihre Gestaltung und erzeugte Stimmung auszeichnen wie Fructus Fliegus von Emilia Zieser. Fast jeder eject-Film hat mich mehr begeistert als alles, was ich mir im Deutschen Wettbewerb anschauen musste.

Es ist einerseits ein wenig bedrückend, dass en Festival diese anderen Erzählformen in ein Programm schiebt, das mit „weird“ überschrieben wird, wo doch gerade diese Filme den regulären Wettbewerb unheimlich bereichern und auflockern würden. Natürlich mag es auch dort die ein oder andere Ausnahme geben. Man sollte da unter anderem Mother Is a Natural Sinner von Boris Hadžija und Hoda Taheri erwähnen, der es in ziemlich langen Einstellungen durchaus schafft zu abstrahieren. Generell überwiegt jedoch der Eindruck eines Filmprogramms, was sich auf die Fahne geschrieben hat, möglichst viele partikulare Perspektiven abzubilden, wodurch aber die Qualität der ausgewählten Filme auf der Strecke bleibt. Es muss eine Form der Kuratierung geben, die es ermöglicht, einerseits Sichtbarkeit zu schaffen und andererseits Formen zu präsentieren, die über das bloße, oft gesprochene Erzählen hinaus gehen. Eine Filmauswahl muss es schaffen diese Balance herzustellen, denn wenn man ausschließlich nach Repräsentationskriterien kuratiert, fällt das Filmische als Kriterium irgendwann hinten runter, was man leider zusehends merkt und wodurch das gesamte Programm leidet. Meist sind es ja gerade die Filme, welche einem nicht direkt mit ihrem Thema befallen und ihren Sinn eher aus der Inszenierung und Atmosphäre ziehen, die dann eine wahre Sprengkraft entfalten, wie es letztes Jahr der Film Hymn of the Plague getan hat, an den ich noch heute denken muss. Einen ähnlichen Eindruck hat in diesem Jahr jedoch leider kein Film bei mir hinterlassen.

Die Lehre für das interfilm müsste also folgende sein: mehr Merkwürdigkeit wagen und sich im Umfang reduzieren. Es muss wieder mehr Platz sein für abwegiges und anderes Erzählen, das seinen Fokus auf die Form legt und weniger das gesprochene Wort. Denn nur wenn Festivals auch dieses Kino bewusst in die Programme holen, werden die (zukünftigen) Filmemacher*innen im Publikum lernen, wie man visuell erzählt. Außerdem muss man wirklich darüber nachdenken, das Programm stark zu reduzieren. Das gibt den einzelnen Filmen einerseits mehr Raum. Denn was bringt all die Repräsentation, wenn der einzelne Film am Ende in der Masse des Programms untergeht? Andererseits ermöglicht ein schlankeres Programm auch einen besseren Überblick für das Publikum. Viele Screenings, die ich besucht habe, fanden vor einem nicht mal halbvollen Saal statt, was sicherlich auch eine Folge dieser unglaublichen Fülle an Programmen ist. Noch dazu dürfte es einer professionellen Organisierung sicherlich nur zuträglich sein, wenn man den Umfang der Screenings reduziert.

Solange sich in diesen Aspekten des Festivals in den nächsten Jahren jedoch nichts tut, werde ich dem interfilm wohl vorerst fernbleiben müssen, um nicht mehr meine Zeit zu verschwenden.

Hinterlasse einen Kommentar