Das Licht – ungelenk, aber empathisch

Tom Tykwers neuer „Kinofilm“, (wie der Trailer ihn stolz ankündigt), Das Licht, eröffnet an diesem Donnerstag feierlich die 75. Jubiläumsausgabe der Berlinale. Im Vergleich zu den vorigen Berlinale-Eröffnungsfilmen ist das einer, an den wir uns in zwei Wochen eventuell noch erinnern könnten.

Dass Das Licht ein zeitgemäßer Film sein will, können ihm auch die härtesten Kritiken nicht absprechen. Tykwer stürzt sich kopfüber in tagespolitische Diskurse über die Vereinsamung männlicher Jugendlicher, Abtreibungsdebatten, weiße Privilegien, Förderbürokratie, Flüchtlinge und Integration. Anhand der vier Figuren der Familie Engels, gespielt von Lars Eidinger, Nicolette Krebitz, Elke Biesendorfer und Julius Gause und deren neuer Haushälterin Farrah, gespielt von Tala Al-Deen, werden Themen aus der Mitte der Gesellschaft frontal angegangen. Die Engels‘ müssten jedoch statt als Familie viel mehr als WG begriffen werden: Alle vier verbringen ihr Leben allein, abgetrennt voneinander in ihren eigenen Bubbles. Die Tochter Frieda geistert abwesend tage- und nächtelang durch die Berliner Clubs, ihr Bruder Jon investiert seine Zeit in kompetitives E-Gaming, Vater Tim vertieft sich in seinen Marketing-Job bei einem Start-Up und Mutter Milena pendelt dauerhaft zwischen Berlin und Nairobi, um dort ein Opernhaus zu errichten. Die Ehe bröckelt, die Kinder bekommt man kaum noch zu Gesicht, der Hausfrieden hängt schief. Der Lichtblick in dieser Konstellation ist Melinas unehelicher Sohn Dio, der aus einer Affäre mit einem Kollegen in Nairobi heraus in die Familie trat. Als einziger wird er nicht nur von allen geduldet sondern tatsächlich gemocht, dazu trägt seine infektiöse dauergute Laune viel bei.

Farrah, die nach dem Bürgerkrieg in Syrien nach Deutschland flüchtete, betritt als Fremdkörper dieses kaputte Familienkonstrukt und beginnt alsbald, sich jedem einzelnen der Engels anzunähern und den Zusammenhalt auf ungeahnte Weise zu stärken. Sie ist ausgebildete Therapeutin, deren Lizenz in Deutschland nicht anerkannt wird und deshalb nicht praktizieren darf. Stattdessen meldet sie sich beim Arbeitsamt als Haushälterin für die Engels und kann auf diese Art ihren therapeutsichen Methoden nachgehen. In ihrer kleinen Wohnung, in der sie mit weiteren geflüchteten Frauen gemeinsam lebt, leistet sie bereits für die anderen Bewohnerinnen Seelsorge, bei der ihre pulsartig blitzende Lampe, die den Patientinnen ins Gesicht gerichtet wird, eine heilende Wirkung auslösen soll. Die Engels bilden für sie ein gefundenes Fressen, denn alle vier haben Therapie ganz dringend nötig.

Dio, Milena, Frieda, Jon und Tim Engels. © Frederic Batier / X Verleih AG

Was klingt wie eine wohlwollende Version von Bong Joon-Hos Parasite ist viel mehr ein zutiefst humanistischer Film, der sich, wenn auch auf sehr ungelenke und verschrobene Art, für ein empathisches Miteinander einsetzt. Tykwer wirft mit Das Licht viele Themen auf, erzählt kaum eins davon bis zum Ende aus, aber prescht mit jeder Szene weiter voran an sein äußerst eindrückliches wie fragwürdiges Ende. Es geht vor allem darum, füreinander da zu sein, einander zuzuhören und auf das Gegenüber einzugehen, und wenn das sehr nach Gruppentherapie klingt, dann nur, weil der Film es genau so erzählt. Sehr methodisch bildet Tykwer die individuellen und kollektiven Probleme der Engels ab, um sie dann im Verlauf des Films mit Farrahs Hilfe aufzulösen. Der Film lässt sich damit seine Zeit – die 160 Minuten kommen nicht von irgendwo – und reißt vieles an, ohne es wieder aufzugreifen. Handlungsstränge wie die geheime Abtreibung der minderjährigen Frieda kommen und gehen, sie bilden alle nur Puzzleteile des immensen Mosaik, dass Tykwer plant.

Dieses Mosaik ist stilistisch eine wohltuende Abwechslung im deutschen Kino, dass sich sonst oft durch Understatements und Zurückhaltung auszeichnet. In großen Gesten und mit breitem Pinsel malt Tykwer hier über die Linien und bringt eine amerikanische Sensibiltät mit, die er zweifellos von den Wachowski-Schwestern abgeguckt hat. Tatsächlich erinnert dieser neue Film etwas an die letzte Zusammenarbeit mit den Regisseurinnen bei The Matrix Resurrections, für den Tkywer Musik komponierte. Nicht nur ist das Verständnis von Empathie, Liebe und Zuneigung in dem Matrix-Film wie auch in Das Licht treibende Kraft der Geschichte, sondern die Neigung zum Pompösen ist stellenweise ähnlich umgesetzt. Dabei vermeidet es Tykwer, zu sehr ins Kitschige abzudriften, sondern erlaubt der Handlung auch eine Ernste und Bodenständigkeit beizubewahren.

Diese Bodenständigkeit wird in einigen einzelnen Szenen vollständig ausgesetzt, denn jedes Mitglied der Familie Engels bekommt eine Musical-Nummer zu performen, in denen sie singen, tanzen und träumen dürfen. In diesen Szenen befindet sich der Film in einem Höhenflug: Tykwer feuert aus allen Rohren und beweist seine Liebe fürs und sein Talent im Inszenieren. Eidingers und Krebitz‘ Selbstermächtigungsballaden in alltäglichen Umgebungen werden kontrastiert mit den surrealen Projektionen und Träumereien ihrer Tochter und dem halb-animiert – halb-choreographierten Dance-Off des kleinen Dio zu Queens Bohemian Rhapsody. Am beeindruckendsten inszeniert Tykwer die Sequenz des Sohnes Jon, der in einem Tagtraum seinen online-Flirt persönlich trifft und in einer bezaubernd fluiden Akrobatik-Tanzeinlage die zwei Liebenden durch die Lüfte und über die Wasseroberfläche des Berliner Westhafens fliegen lässt. Diese Szenen sind mit Abstand die eindrücklichsten des Films und stellen die Vielfalt ans Kreativität aus, die diesen Film durchzieht.

Farrah bekommt jedoch keine Musical-Nummer, denn ihre Motive und Situation bleiben über lange Strecken des Films ungeklärt. Sie wird zwar von Tykwer nicht als Flüchtling stereotypsiert, dafür aber als Therapeutin. Bis kurz vor Ende erfahren wir sehr wenig über sie, außer dass sie regelmäßig ihre Familie in einem ominösen, abgeriegelten Raum trifft, den ihre Kinder und ihr Mann scheinbar nicht verlassen können. Farrahs Funktion in diesem Film ist es größtenteils, die deutsche Familie zu therapieren. Das ist schade, da sie nicht nur die interessanteste, sondern auch die sympathischste Figur des Ensembles ist. Ihre Rolle bleibt aber stets untergeordnet und unterstützend den weißen Figuren gegenüber. Erst zum Schluss gestikuliert Tykwer in eine Richtung die auch Farrah Motive und Ziele zuschreibt. Die finalen Minuten von Das Licht schlagen einen sehr finsteren und ernsten Ton an, der über die vorigen 140 Minuten nur im Hintergrund brodelte und nun an die Oberfläche quillt. Auch hier inszeniert Tykwer mit Gewicht und Dramatik, es sind eher amerikanische als deutsche Verhältnisse, in denen er hier spielt. Was genau das Ende für Implikationen mit sich trägt, ist weder leicht zu entziffern, noch wird es große Teile des Publikums zufriedenstellen, doch ist Das Licht ohnehin viel mehr daran interessiert, Fragen zu stellen, als sie zu beantworten.

Farrah und das Licht. © Frederic Batier / X Verleih AG

Trotzdem muss es kritisiert werden: Das Licht gibt seiner wichtigsten nicht-weißen Figur zu wenig Tiefe, als dass sie über ihre Funktion als Therapeutin für die Deutschen hinauskäme. Über den Großteil des Films kümmert sich Farrah mehr um die Probleme ihrer Arbeitgeber als um die eigenen Umstände. Diese Abbildung einer selbstlosen Ausländerin die nach Deutschland kommt, um den Deutschen den Spiegel vorzuhalten und sich in den Hintergrund stellt, um den privilegierteren zu helfen, zeigt die Zentriertheit des Films auf die individuellen Probleme der Engels‘ anstatt Farrahs Flucht nach Deutschland und ihrer Lebensrealität hier Platz zu geben. Dem kollektiven Trauma der Flucht, das viele syrische Flüchtlinge auf dem Weg übers Mittelmeer erleiden wird, wie so viele andere Themen, nur schemenhaft umrissen. Um sich selbst heilen zu können, will Farrah die Engels heilen, doch handhabt Tykwer diese Idee viel zu grobschlächtig, als dass es in einem produktiven Resultat münden würde. Stattdessen will er uns zeigen, dass andere zu therapieren auch Selbsttherapie ist, doch ist die politische Dimension der Flüchtlingskrise hier nicht sorgfältig genug ausgearbeitet.

Wenn man Das Licht eines vorwerfen kann, dann ist es, an der eigenen Ambition zu scheitern. Zu groß will Tykwer über die gesellschaftlichen Probleme in Deutschland erzählen, zu viel verliert er sich in kurzlebigen Handlungssträngen und narrativen Schlenkern, zu tonal weit gefächert ist dieser Film, als dass er eine runde Geschichte erzählen könnte. Doch ist Das Licht weder daran interessiert, all die Fässer, die es aufmacht, auch wieder zu schließen, noch ist er der übergeordneten Handlung zu stark verschrieben. Im Kern geht es um die Figuren und das Verhältnis ihrer untereinander, denn in der Mitte dieses Film befindet sich ein pulsierendes Herz, das auf seine eigene ganz verschrobene Art und Weise für Empathie und Humanismus plädiert. Dabei stolpert der Film an einigen Stellen, aber er schwebt auch teils. Die Landung ist alles andere als perfekt, aber auf die Nase legt sich Tom Tykwer hier nicht.

Das Licht startet am 20. März 2025 in den deutschen Kinos.

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