Das Jahr geht zu Ende und das heißt, es ist wieder Zeit für eine kleine Top 10 Liste. Was waren für mich die filmischen Highlights des Jahres und was war das überhaupt für ein Jahr aus der Sicht des Kinos? Es war sicherlich nicht das beste Filmjahr und das gilt besonders für Hollywood-Filme. Dort schien nicht nur der große Streik vom letzten Jahr nun vollends seine Folgen zu entfalten, auch sonst scheint man in vielen Studios mit der Kreativität am Ende zu sein. Auch was den deutschen Film angeht, blieben für mich die großen Highlights aus, aber es kann auch nicht jedes Jahr ein Roter Himmel erscheinen. Und besonders groß war dieses Jahr das Sommerloch, was sicherlich an der Fußball-EM im eigenen Land und den folgenden Olympischen Spielen in Paris lag. Auch ich habe mich zu dieser Zeit eher selten im Kino wiedergefunden. Wer jedoch seinen Blick weitet, wird eigentlich wie in jedem Jahr fündig und so fiel es mir auch dieses Jahr wieder schwer, mich auf zehn Filme zu begrenzen. Am Ende habe ich mich dafür entschieden, lieber zwei bis drei Filme auf die Liste zu setzen, die nicht ganz die Aufmerksamkeit bekommen haben, die sie eigentlich verdient hätten und ich hoffe, dass sie so vielleicht noch von dem ein oder anderen entdeckt werden können.
Erwähnen möchte ich auch noch folgende Filme, die auch sehr gut sind, es aber knapp nicht auf die Liste geschafft haben: May December von Todd Haynes, All We Imagine as Light von Payal Kapadia, Conclave von Edward Berger, Slow von Marija Kavtaradze und Sad Jokes von Fabian Stumm.
Es zählt wie immer größtenteils der Deutschlandstart, um als Film aus 2024 zu gelten, lediglich ein Film findet sich in der Liste, den ich nur auf der Berlinale gesehen habe und noch keinen Deutschlandstart hat und vielleicht auch nie einen kriegen wird.
Platz 10: Blackbird Blackbird Blackberry (R: Elene Naveriani)
Das georgische Kino hat in den letzten Jahren eine ganz besondere, ruhige und einfühlsame Art und Weise gefunden, Geschichten zu erzählen und Blackbird Blackbird Blackberry reiht sich da wunderbar ein. Eine ältere Frau, die eigentlich im Reinen mit sich und ihrer Einsamkeit ist, entdeckt auf einmal doch ihre Sexualität. Es ist wirklich erfrischend wie der Film ohne viel Tamtam so eine selbstbewusste Hauptfigur präsentiert und wie viel Würde und Schönheit er ihr durch seine Inszenierung verleiht. Ein wirklich toller und menschlicher Film.

Platz 9: Los Delincuentes (R: Rodrigo Moreno)
Dieser Film startet als Heist-Movie über einen Bankangestellten, der seinen eigenen Arbeitsplatz ausraubt, um mit der erbeuteten Summe nie wieder arbeiten zu müssen. Aber sobald dieser Teil erzählt ist, nimmt uns der Film mit auf eine unerwartete Reise hinaus in die schönen argentinischen Landschaften. Es wird auf einmal ein Liebesfilm und ein Film über den Ausbruch aus dem geregelten Leben. Alles auch ein wenig träumerisch. Ein Film, der die Frage stellt: Was wäre wenn?
Platz 8: Sonnenplätze (R: Aaron Arens)
Sonnenplätze qualifiziert sich wahrscheinlich als die größte Überraschung des Jahres. Mich lockten vor allem die tollen Poster und der sommerliche Titel im Kino, in der leisen Hoffnung, einen vielleicht ähnlich sommerlichen Film zu sehen. Was ich bekam, war einer der lustigsten deutschen Filme, die ich seit Jahren gesehen habe. 90 Minuten lang kotzt sich eine Familie gegenseitig tierisch an, nur um sich am Ende zu Udo Jürgens Musik vielleicht doch wieder zu vertragen. Das war ein Lichtblick im Sommerloch.

Platz 7: Der Spatz im Kamin (R: Ramon Zürcher)
Wir bleiben direkt bei dysfunktionalen Familien, die im deutschsprachigen Kino derzeit scheinbar im Trend zu liegen scheinen (man schaue bspw. auch auf Sterben), aber immer anders erzählt werden. Und die Bildsprache der Zürcher Brüder ist wirklich einmalig. Nachdem ich mit Das Mädchen und die Spinne noch etwas fremdelte, konnten sie mich mit diesem Film wirklich von sich überzeugen. Das ist ein so präzises Filmemachen, bei dem keine einzige Einstellung überflüssig scheint. Wir sehen Figuren, die scheinbar keinen Filter besitzen. Das ist bitterböse, aber vielleicht auch einfach nur ehrlich.

Platz 6: Challengers (R: Luca Guadagnino)
Wenn Luca Guadagnino einen Film dreht, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass er am Ende des Jahres auch in der Top 10 Liste auftaucht. Der Mann dreht mittlerweile sehr viele Filme, nächste Woche kommt schon Queer in die Kinos, aber schafft es dennoch, dass sich jeder Film nach etwas eigenem anfühlt. In Challengers spielen sehr attraktive Menschen Tennis und begehren einander. Der Sport wird irgendwann zum Sex. Tolle Bilder und ein starker Score. What’s not to love?
Platz 5: La Bête (R: Bertrand Bonello)
Man könnte diesen Film als Time-travel-Liebesgeschichte bezeichnen und hätte trotzdem nicht mal im Ansatz beschrieben, was La Bête für ein Film ist. Der ist so vollgestopft mit Ideen, dass es schnell zu viel werden könnte, aber das wird es nie, weil der Film im Kern eine Liebesgeschichte erzählt, die sich über Jahrhunderte erstreckt. Und so wird man von diesem Film auch nicht überwältigt, obwohl er einen mit seinen ganzen Ideen leicht überfordern kann. Die können sich dann nach dem krachenden Ende und über sehr wahrscheinlich vielen Re-watchs entfalten.
Platz 4: All the Long Nights (R: Sho Miyake)
Auf jeder Berlinale läuft im Forum dieser eine asiatische Film fürs Herz, da kann man die Uhr nach stellen. Letztes Jahr war das Remembering Every Night und dieses Jahr war es All the Long Nights. Es geht um eine Frau, die stark unter PMS leidet. Sie trifft auf Arbeit einen Mann, der unter massiven Panikattacken leidet. Was zunächst nach schlimmen mental-health Kino klingt, ist ein unglaublich warmherziger Film, in dem Menschen einfach füreinander da sind. Das tut in diesen grauen Zeiten wirklich gut und war dieses Jahr eins der Highlights auf einer sonst enttäuschenden Berlinale.

Platz 3: Anora (R: Sean Baker)
Den meisten Spaß im Kino hatte ich dieses Jahr in Anora. Sean Baker ist gerade einer der besten amerikanischen Regisseure und einer der wenigen, der sich im US-amerikanischen Kino noch für die sozial Schwachen interessiert. Sein Thema ist die Illusion des amerikanischen Traums – dass man es aus dem Nichts nach ganz oben schaffen könnte. An diesen Traum glaubt anfangs auch Ani, eine Sexarbeiterin, die auf den Sohn eines reichen russischen Oligarchen trifft. Die beiden verlieben sich – scheinbar und heiraten. Doch schnell wird klar, dass das natürlich nichts von Dauer ist. Sean Baker gelingt es elegant einen unglaublich unterhaltsamen Film zu drehen, der uns gleichzeitig aber auch an die bittere Realität erinnert, die sowohl uns als Zuschauer, als auch die Hauptfigur Ani einholt.
Platz 2: The Zone of Interest (R: Jonathan Glazer)
Wahrscheinlich wurde über keinen Film in dieser Liste bereits so viel geschrieben, wie über The Zone of Interest. Ich will also gar nicht versuchen, hier noch etwas Neues hinzuzufügen. Im Endeffekt verhandelt sich an The Zone of Interest die Frage, ob und wie sich das Grauen des Holocaust überhaupt darstellen lässt. Jonathan Glazers größte Leistung ist, dass er auf diese Frage eine neue Antwort gefunden hat und in der filmischen Auseinandersetzung mit dem Holocaust den Beginn eines neuen Kapitels markiert. Es gibt ein Davor und Nach The Zone of Interest. Dieser Film ist ein Meilenstein.
Platz 1: The Taste of Things (R: Trần Anh Hùng)
Ich habe in diesem Jahr viele gute Filme gesehen, einige sehr gute und manche ausgezeichnete, aber es gab nur einen Film, in den ich mich praktisch von der ersten Sekunde an verliebt habe und das ist The Taste of Things. Es ist ein unglaublich schöner Film. Sanfte Kamerafahrten und unglaublich ausgeleuchtete Bilder, die wahrgenommen werden wollen. Und mittendrin spielt sich diese tragisch schöne Liebesgeschichte ab. Was das beim Schauen mit mir gemacht hat, kann ich gar nicht wirklich beschreiben und es ist ein Film, der sich auch nicht einfach beschreiben lässt, weil er eben allen voran eine sinnliche Erfahrung ist. All die inszenatorische Klasse zeigt sich am Ende des Films: ein sanfter Schwenk durch die leere Küche, in der sich der Großteil der Geschichte abgespielt hat, dazu aus dem Off ein Dialog über die Jahreszeiten, die heiße Sommersonne und wofür man lebt. Es kulminiert in diesem Moment alles und treibt einem die Tränen in die Augen. Da wird klar, was Kino alles kann.

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