interfilm 40 – Wie wollen wir erzählen?

Es sind graue Zeiten – Krisen auf der ganzen Welt, erschreckende Wahlergebnisse und nun bricht auch noch der schreckliche Herbst über uns herein. Doch mittendrin feiert ein Filmfestival sein 40-jähriges Jubiläum. Das interfilm Berlin, eines der wichtigsten Kurzfilmfestivals Deutschlands, fand letzte Woche statt und gerade jetzt stellt sich die Frage, wie der Kurzfilm auf unsere Welt blickt. Was wird erzählt und wie wird es erzählt?

Wenn man sich in den Wettbewerben umsieht, springt direkt die breite Themenvielfalt ins Auge. Vor allem Probleme scheint es in dieser Welt genug zu geben. Sei es Rassismus, häusliche Gewalt, die Folgen von Kriegen oder problematische Geschlechterrollen: zu jedem dieser Themen gibt es Filme auf dem Festival. Solch schwere Themen verleihen natürlich erst einmal Relevanz, doch machen sie noch längst keinen guten Film, das wird schnell klar. 

Da wäre zum Beispiel der Film “Future Is Panorama” von Muschirf Shekh Zeyn: Eine Frau erhält einen Anruf ihrer Tochter, die sich in einer Bar versteckt, in der scheinbar ein rassistischer Terrorangriff stattfindet. Die Mutter trifft auf Polizisten und bittet sie um Hilfe, doch die scheinen daran nicht sonderlich interessiert. Es gibt Kommunikationsprobleme, am Ende wird die Mutter festgenommen. Es werden natürlich Erinnerungen an Anschläge wie in Hanau und München geweckt und genau da wird es irgendwie ärgerlich. Zwar betonte der Regisseur, dass er den Attentätern keine Bühne geben wollte (deshalb sehen wir sie im Film nie), aber nutzt dennoch diese Assoziation, um Spannung zu generieren. Eine wirklich neue Erkenntnis kann der Film uns dadurch auch nicht liefern und irgendwie sind wir in der Diskussion ja auch schon weiter. 

Genauso verhält es sich mit einem anderen Film, der sich dem Thema Rassismus zuwendet. In “Monochrome” sehen wir einen Mann und eine Frau, die sich übers Online-Dating kennengelernt haben. Bevor sie sich das erste Mal in echt sehen, muss sie ihm aber noch etwas beichten: sie ist in Wahrheit schwarz und hat sich per Deep-Fake zur weißen Frau gemacht. Das wäre kein Problem, wenn er nicht ein überzeugter Nazi wäre, der bei dieser Offenbarung wie Rumpelstilzchen anfängt zu wüten. Das ist so bescheuert, wie es klingt und natürlich fängt er am Ende doch an, seine Überzeugungen zu hinterfragen. Jeder kann sich ändern, ist die stumpfe Botschaft.

Schon seit Jahren im Trend ist der Hang zum dokumentarischen und im weiteren Sinne autofiktionalen Format im Kurzfilm und das spiegelt sich auch im Festivalprogramm wider. Die Frage danach, wer welche Geschichten erzählen kann und sollte, prägt den kulturellen Diskurs der letzten Jahre wie kaum etwas anderes. Und so ist es nur logisch, dass viele einfach von sich selbst oder ihrer Familie erzählen. Wenn es nicht direkt aus dem Film klar wird, wie etwa bei “What Happened To My Olive Tree”, wo sich die Regisseurin auf eine Spurensuche in ihre ehemalige Heimat Baghdad begibt oder “Rose”, der mithilfe von alten Super 8 Aufnahmen der Großeltern über die Unsichtbarkeit von häuslicher Gewalt nachdenkt, dann hört man es in den Q&As nach den Filmen. “Warum hast du gerade diese Geschichte erzählt?” “Das habe ich selbst so ähnlich erlebt.” hört man sehr oft. 

Sopa Fria | Bild: interfilm Berlin

Ein weiteres Mittel, um der Geschichte Autorität  zu geben, ist das Voice-Over, welches fast immer in Verbindung mit dem Animationsfilm auftrat. Paradoxerweise ist der Animationsfilm die Form, die sich auf diesem Festival am meisten dem Dokumentarischen gewidmet, aber auch wenig getraut hat. Es scheint kaum Vertrauen in die eigenen Bilder mehr zu geben. In vielen Filmen wird die visuelle Information nochmal durch ein Voice-Over artikuliert. So ist es zum Beispiel im Film “Sopa Fria” von Marta Monteiro. Eine Frau erzählt von ihrer gewaltsamen Ehe und wie sie aus ihr entkommen konnte. Wir sehen, wie sich Räume verkleinern und sie einschließen, aber es wird uns eben auch nochmal gesagt. Das ist mehr als redundant und außerdem ärgerlich. Dem Publikum wird so die gewünschte Deutung des Films direkt mit serviert. Das Denken wird einem abgenommen, was sehr schade ist, da besonders dem Animationsfilm eigentlich keine Grenzen gesetzt sind. Dass man sich erzählerisch so einschränkt, ist eine Beobachtung, die ich leider bei vielen Filmen gemacht habe.

Glücklicherweise haben auch einige Filme auf dem Festival gezeigt, dass es anders geht. Da wäre zum Beispiel mein persönliches Highlight: “Hymn of the Plague” von dem russischen Regie-Kollektiv Ataka51. Es ist ein atmosphärisch dichter Film in einem sowjetischen Tonstudio. Eine Gruppe Musiker nimmt ein wirklich tolles Stück auf, doch um sie herum passieren übernatürliche Dinge. Ein Kind verschwindet in einer Wand, im Tonstudio fliegen Stühle und Notenständer umher, wie von Geisterhand bewegt. Die Musiker scheint das nicht zu tangieren, bis sie am Ende selbst auch weg sind. Der Film entwickelt zwischenzeitlich aufgrund seiner gleitenden Kamera, langen Einstellungen und der Musik eine Stimmung, die mich voll in ihren Bann gezogen hat. Und am Ende ist es tragisch, denn es ist ein Film über das Verschwinden der Kunst, direkt vor unseren Augen. Denn auf einmal ist da Stille.  Der Film erklärt nichts und genau darin liegt seine Stärke. Er will, dass man sich ihn erarbeitet.

Queen Size | Bild: interfilm Berlin

Auch die Entscheidungen der Jurys aus dem deutschen und internationalen Wettbewerb haben mich dahingehend sehr erfreut. Man kann sie auch als Zeichen gegen die von mir beschriebenen Trends verstehen. Zum einen gewannen mit Animationsfilmen wie “There Are People in the Forest” und “It Shouldn’t Rain Tomorrow“ zwei dokumentarische Animationsfilme ohne (!) Voice-Over Preise, die sich wirklich auf die Kraft ihrer Bilder verlassen haben. Und zum anderen wurden tatsächlich richtige Fiktionen ausgezeichnet. Der Preis für den besten internationalen Film ging an “The Masterpiece”, der sich zwar etwas zu sehr an Parasite anlehnt, aber dennoch sehr genau und desillusionierend die Machtgefälle zwischen Arm und Reich aufzeigt. Und der Beste Live Action Film im internationalen Wettbewerb wurde eine simple Liebesgeschichte namens “Queen Size”. Zwei bis dato fremde Menschen verlieben sich ineinander, während sie eine Matratze durch Paris schleppen. Es kann so einfach sein! 

Was von diesem interfilm bleibt, ist ein zwiespältiges Bild. Wie auch schon bei der Berlinale, wo zuletzt zweimal in Folge ein dokumentarischer Film gewann, zeigt sich, dass viele Filmemachende das Vertrauen in die Fiktion verloren haben. Man will sich sicher sein, dass die eigene Botschaft ankommt und so bleibt die Offenheit, die die Kunst ja eigentlich ausmacht, oft leider auf der Strecke. Die Themen sind vielfältig, es stellt sich also nicht die Frage, was wir uns erzählen, sondern vor allem, wie wir uns das erzählen wollen. Ich wünsche mir dabei vor allem mehr Mut, Bilder einfach mal stehen zu lassen und sie dem Publikum zu übergeben. Erst dann kann doch ein fruchtbarer Diskurs überhaupt entstehen. Dass es diese Filme aber immernoch gibt, zeigen die Jury-Entscheidungen, die genau die richtigen Filme in den Mittelpunkt gestellt haben.

Eine Antwort zu „interfilm 40 – Wie wollen wir erzählen?”.

  1. […] paar gute Filme erwischt hat. Hierbei hilft die Kuratierung der Programme nicht unbedingt weiter. Über mein Problem mit einem Großteil der Kurzfilme auf dem interfilm habe ich im letzten Jahr scho… Leider hat niemand auf mich gehört. Die Art der Filme hat sich auch in diesem Jahr nicht […]

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