Heiko und Ringo – Helden der Arbeiterklasse

Zwei Seiten einer Medaille: Martin Rohde als Heiko und Ringo.

Der neueste Film des Regisseur- und Darsteller-Duos Dominik Galizia und Martin Rohde, Rock’n’Roll Ringo, landete letzte Woche in den deutschen Kinos. Gemeinsam sind Galizia und Rohde verantwortlich für Heiko’s Welt von 2021, einen Film, der bei seiner Veröffentlichung den Kultstatus schon vorprogrammiert hatte. Auch Rock’n’Roll Ringo wird dem Mainstream eher fernbleiben und seine Anhängerschaft in einem kleinen Kreis finden, doch scheint genau das dessen Intention zu sein. Beide Filme wirken wie bewusste Gegenentwürfe zum aktuellen deutschen Film in allem, was das beinhaltet: Handlung, Ästhetik und technische Ansprüche setzen beide Filme von ihren Zeitgenossen ab. Wodurch stechen diese zwei Filme hervor?

Wann haben wir das letzte Mal in einem deutschen Film eine arbeitslose Person gesehen? Oder einen waschechten Blaumann-Arbeiter? Das deutsche Kino der letzten Jahre konzentriert sich gerne auf Figuren, deren finanzielle Lage egal ist. Die Jobs, die M’Barek, Schweighöfer und Haase in ihren Filmen haben, sind in den meisten Fällen schlichtweg nicht relevant. Selbst große Kritikerlieblinge wie Christian Petzold tappen in diese Falle. Deutsche Filme finden in einem privilegierten Mikrokosmos statt, in dem Geld kein Gegenstand der Handlung ist und keine Figur ökonomische Schwierigkeiten erlebt. Die Ausnahme bestätigt die Regel: Thomas Stubers In den Gängen (2018) bildet die arbeitende Bevölkerung und ihr Arbeitsumfeld sehr nahbar und liebevoll ab, Fatih Akins Der goldene Handschuh (2019) hingegen begegnet seinen Subjekten mit Ekel und Ablehnung. Abseits dieser zwei Filme jedoch gibt es im deutschen Kino ohne Zweifel eine Abneigung gegen die Darstellung von Arbeiter*innen und finanziell schwächeren Milieus. Stattdessen bekommen wir immergleiche, sorg- und makellose Gesichter zu sehen, die sich fernab der Lebensrealität vieler Menschen bewegen.

Heiko (Martin Rohde) und seine Mutti (Heike Hanold-Lynch) beim Discountershoppen.

Heiko’s Welt und Rock’n’Roll Ringo bilden die doppelte Kehrseite dieser Medaille: Heiko muss als Sozialhilfeempfänger Geld für die Augenoperation seiner Mutter zusammenkratzen, Ringo nimmt einen Job als Kirmes-Boxer an, nachdem ihm seine vorige Stelle auf dem Bau gekündigt wird. In beiden Fällen bildet die prekäre finanzielle Lage der Hauptfiguren den Startpunkt für die daraus entspringende Handlung. Im Mittelpunkt der jeweiligen Geschichten stehen Geldnot und körperliche Arbeit. Heiko verkauft unter der Hand Restposten eines Freundes an Bekannte und Freunde weiter, um sich etwas dazuzuverdienen, und spielt um etwas Geld Darts in Nordberliner Eckkneipen, doch reicht das alles nicht. Die Umstände verleiten ihn dazu, an einem Darts-Turnier mit 5000 € Preisgeld teilzunehmen, und die Handlung entfaltet sich von dort. Ringo wird nach einem von ihm verursachten Arbeitsunfall von seinem Arbeitgeber gefeuert, muss eine Stelle als Ticketabreißer bei der Kirmes annehmen und wird dort vom Boxstand angeworben, um für Geld gegen Anwerber anzutreten, die meinen, es mit ihm aufnehmen zu können. Hauptgegenstand dieser zwei Filme sind zwei Männer, die sich in ihrer kapitalistischen Lebensrealität zurechtfinden müssen, eine Realität, in der das Geld nicht an Bäumen wächst und eine Arbeit zu haben alles andere als egal ist.

In ihren Filmen stehen Heiko und Ringo jedoch nicht allein im Zentrum; beide Filme werden ausgeschmückt von verschiedensten Menschen und Körpern, die das Milieu des Films bereichern. Dabei handelt es sich zum Beispiel um Heikos Dart-Konkurrenten, seinen Freund Tscherny, der im C-Bereich Berlins lebt, oder um Ringos Boxkampf-Organisatoren Inge und Fränkie. Diese Figuren verleihen beiden Filmen eine immense Menge an Leben; sie strahlen eine mühelose Authentizität aus, die ihresgleichen sucht. Die verlorenen Gestalten der Berliner Eckkneipen und die rastlosen Kirmes-Schausteller stellen in ihrer Körperlichkeit eine Antithese zu jedem deutschen Film seit Ende der Pandemie dar. Ihre alles andere als normschönen Körper tragen die Spuren des Lebens mit sich: faltige Gesichter, platte Nasen, Übergewicht. Sie bilden Körper ab, die uns keine anderen deutschen Filme zeigen wollen, weil sie den Zoll der Arbeit abbilden. Diese Menschen haben ein Leben lang gearbeitet, sie sind verbraucht und erschöpft, und das sieht man ihnen an. Heiko’s Welt und Rock’n’Roll Ringo sind die seltene Darstellung einer deutschen Arbeiterklasse, die im deutschen Kino des Mainstreams und Festivalzyklus unsichtbar bleibt.

Margarethe Thiesel als Inge in Rock’n’Roll Ringo (2024).

Jedoch wirkt Dominik Galizia ästhetischen Klischees, mit denen diese Menschengruppen oft in Verbindung gesetzt werden, entgegen. Anstatt eines sozialen Realismus, wie Ken Loach ihn beispielsweise in seiner Darstellung der britischen Arbeiterklasse verwendet, verzichtet Galizia auf die graue Tristesse und Handkamera, sondern inszeniert seine Helden der Arbeiterklasse mit einer Menge cinematischem Flair. Entgegen Heikos und Ringos Umständen sind die Filme leichtfüßig und mit viel Herz erzählt. Besonders Kameramann Elias Köhler legt sich ins Zeug: Die Kamera zoomt, schwenkt, fährt und folgt Heiko in einer langen, kompliziert choreografierten Szene von der Straße über den Balkon in ein Wohnhaus und durch das Treppenhaus zurück. Mit Montagen, Slow Motion und verschiedenen musikalischen Ausgestaltungen verwendet Galizia das volle Arsenal, um die Kneipe und die Kirmes für den Zuschauer zum Leben zu erwecken. Besonders hervorzuheben ist der Dreh mit 35mm Kodakfilm für Rock’n’Roll Ringo und dessen Tonmischung auf Dolby Atmos 7.1 – welcher deutsche Film der letzten Jahre ist diese Längen gegangen? Als Resultat sieht Galizias Film hervorragend aus und klingt (im richtigen Kino) unglaublich gut. Die Kirmes in Rock’n’Roll Ringo brodelt und pulsiert im Kinosaal und scheint Ringo und das Publikum in sich zu verschlucken.

Der Rummel in Rock’n’Roll Ringo.

Das verbindende Element dieser Filme ist vor allem auch Martin Rohde, der beide Rollen mit sagenhafter Selbstverständlichkeit spielt. Zwischen dem sanftmütigen Säufer und Schwätzer Heiko und dem sturen, stillen Koloss Ringo sind Welten, und Rohde findet Wege, sie beide in sich zu vereinen. Die Transformation von Heiko zu Ringo ist nicht nur eine schauspielerische, sondern auch eine körperliche: Rohdes schlaffer und runder Körper in Heiko’s Welt ist in Rock’n’Roll Ringo bullig und massiv und verändert sein Auftreten und seine Wahrnehmung massiv. Es tut vor allem gut, ein derart unverbrauchtes und frisches Gesicht zu sehen, und nicht immer dieselben Fratzen unserer deutschen „Stars“. Es ist eben diese Bodenständigkeit, die Rohde in seinem Auftreten so gut fortträgt, fernab von roten Teppichen und hochtrabenden Premieren gibt es Schauspielende, die noch Bezug zur Realität haben, wie Rohde so prägnant darstellt. Es bleibt nur zu hoffen, dass Rohde sich auch außerhalb von Dominik Galizias Filmen einen Namen machen kann, denn ein solches Talent sollte definitiv weiter gefördert werden.

Heiko’s Welt und Rock’n’Roll Ringo formulieren eine Antithese zum Großteil des aktuellen deutschen Kinos: Sie bilden die Arbeiterklasse und die ökonomisch schwache Schicht Deutschlands mit Empathie und Anmut ab und erzählen die Geschichten der kleinen Leute mit großem Kino. Die Nische, die Filme wie Alles Fifty Fifty, Spieleabend oder Sterben (alle 2024) ignorieren, beherbergen Heiko und Ringo, und Galizia und Rohde zeigen, dass es eben doch so etwas wie einen innovativen und bodenständigen deutschen Film geben kann.

von Marc Bogoslaw

2 Antworten zu „Heiko und Ringo – Helden der Arbeiterklasse”.

  1. Avatar von j.aboukaram@gmx.de
    j.aboukaram@gmx.de

    Wow, toller Artikel 👏. Habe richtig Lust, die Filme zu sehen!Sent from my iPhone

    Like

  2. Avatar von Toni
    Toni

    Auf die Leba! 👊

    Like

Hinterlasse einen Kommentar