100 Ausgaben „in the mood“: Interview mit den Kuratoren

,

Wer in Berlin Filmprogramme abseits der regulären Kinostarts sucht, der ist schon länger nicht mehr allein auf das Arsenal oder das Zeughauskino angewiesen. Gerade in den letzten Jahren seit Corona haben viele Kinos damit begonnen, eigene Filmreihen zu etablieren, in denen vor allem ältere Filme im Mittelpunkt stehen. So läuft zum Beispiel im Hackesche Höfe Kino seit einiger Zeit eine regelmäßige Reihe, die Filme auf 35mm präsentiert. Oder man denke an die Pleasuredome Reihe im Filmrauschpalast, über die wir hier auch schon berichtet haben. Ganz vorn mit dabei sind aber auch die Kinos der Yorck Gruppe, die schon vor Corona feste Programmreihen wie die Mongay oder die Creepy Crypt im Angebot hatte. Doch gerade in den Yorck-Kinos sprießen seit geraumer Zeit die Filmreihen nur so aus dem Boden. Ganz früh mit dabei und vielleicht auch mit-Auslöser dieses aktuellen Trends ist die Reihe „in the mood“ im Neuen Off. Seit dreieinhalb Jahren wird hier jeden zweiten Dienstag das breite Spektrum des ostasiatischen Films gezeigt. Von Namensgeber Wong Kar-Wai, über Akira Kurosawa oder Ghibli Filmen hin zu viel nieschigeren Titeln, findet sich hier wirklich die ganze Breite des ostasiatischen Kinos. Auch ich habe hier schon sehr viele Filme entdeckt und auch die ein oder andere Lücke schließen können. Die Reihe ist mittlerweile eine feste Größe in der Berliner Kinolandschaft und noch immer sind die Vorstellungen regelmäßig ausverkauft. Am Dienstag findet 100. Ausgabe statt und es läuft passend zum Jubiläum In the Mood for Love, was ich als Anlass nahm, um mit den beiden Kuratoren, Feliks Wagner und Thomas Künstle über ihre Reihe, die Filmauswahl und das ostasiatische Kino an sich zu sprechen. Das Gespräch fand bereits vor einem Monat statt, kurz bevor Jackie Chans Police Story im Rahmen der Reihe lief.

Das Neue Off in Neukölln | Foto: Feliks Wagner

Feliks: Das war Everything, Everywhere, All at Once. Letztendlich kann man aber sagen, dass In the Mood for Love auf eine Art und Weise der erste Film war.

Thomas: Wir hatten die Idee, nach dem Erfolg von Parasite eine ostasiatische Reihe zu machen, doch dann kam Corona. Da haben wir überhaupt nichts gezeigt und mussten ein bisschen warten. Wir hatten dann aber die Möglichkeit, eine Preview von Everything, Everywhere, All at Once zu zeigen. Das war ein sehr guter Anfang, weil der Film so ein Momentum hatte, dass wir sicher sein konnten, dass die Leute den Film sehen wollten.

Feliks: Im Juni 2020, nach dem ersten Lockdown, lief hier im Neuen Off als erster Film In the Mood for Love. Da haben wir draußen draufgeschrieben: „In The Mood For Love Again“ und dann war das ein wahnsinniger Überraschungserfolg. Jetzt laufen ja überall Repertoire-Filme und Klassiker. Aber das war bevor das in den ganzen Kinos losging. In the Mood for Love kommt in Everything Everywhere All at Once zum Beispiel auch als Referenz vor. So ist der Film im Endeffekt der erste und jetzt dann unser Hundertster. Das ist eigentlich ein schöner Bogen. Dadurch, dass ich damals aber hier im Neuen Off gearbeitet habe und In the Mood for Love lief, war natürlich die Idee, dass das namensmäßig zusammenkommen kann. Ich finde, „in the mood“ beschreibt auch das, was wir meistens kuratieren. Also Filme, die eine wahnsinnige Atmosphäre haben, die sich anders erzählen, die sich langsamer erzählen und die sich vielleicht über das Filmische mehr erzählen als nur über das Drehbuch oder nur die Action.

Feliks: Die Katze muss aus dem Sack gelassen werden. Ich habe noch nie In the Mood for Love gesehen – Thomas natürlich schon. sondern werde es jetzt am 16.12.. Nachdem wir die Reihe gestartet hatten, hatte ich immer das Gefühl, das endlich nachholen zu wollen, aber wollte es eben unbedingt mit dem Publikum gemeinsam zum ersten Mal erleben. Und als dann nach einiger Zeit klar war, dass es wohl erst zum 100. Jubiläum so weit sein wird, habe ich bis jetzt gewartet. Ich freue mich sehr drauf und bin auch froh, dieses ewige „Geheimnis“ endlich hinter mir lassen zu können. Vielleicht stellt sich ja heraus, dass der Name gar nicht zur Reihe passt – was natürlich nicht passieren wird. Aber ja, ein wenig lustig und heimlich peinlich war das jetzt für 3,5 Jahre schon für mich.

Thomas: Ich hatte in Konstanz Medienwissenschaften studiert und war nebenher im Zebra-Kino tätig. Das ist ein kleines kommunales Kino. So ein „Studentenkino“, wo man eine hohe Fluktuation an Studenten hat, die aber stets das Programm selber machen. Und da man als kommunales Kino nicht vorrangig Geld verdienen muss, kann man sich ein bisschen austoben. Das heißt, wir hatten auch viele Filmreihen, viele Regisseursreihen und Länderschwerpunkte, auch zum asiatischen Kino. Ich habe auch noch einen persönlichen Bezug zu Asien, weil meine Mutter aus Südkorea kommt.

Feliks: Ich habe schon als Teenager einen Bezug zu Japan gehabt, wie wir wahrscheinlich irgendwie alle ein bisschen über Animes und Mangas gestolpert sind und alle Ersparnisse dafür ausgegeben haben. Über meine Arbeit im Kino habe ich natürlich wahnsinnig viel mit Film zu tun und habe auch mal Filmwissenschaft studiert und bei Festivals gearbeitet, aber habe nie den asiatischen Film im spezifischen als meinen Fokus gesehen. Dann habe ich Burning geguckt und der hat irgendwas ausgelöst in mir, irgendwie eine Art von Faszination. Ich habe den inzwischen 15 bis 20 mal gesehen. Und dann ist es so: Man guckt einen Film und wenn er einem gefällt, guckt man vom gleichen Regisseur noch die anderen, geht dann ein bisschen ins Genre rein oder auch in die Herkunftsländer. So habe ich angefangen mich zu interessieren. Aber wie gesagt, ich glaube das schönste Erlebnis ist gar nicht unbedingt die Filme für mich alleine zuhause zu gucken, sondern mit dem Publikum zusammen. Deswegen schaue ich viele Filme der Reihe hier zum allerersten Mal und erweitere so mein Wissen. Ich glaube, die ganze Idee der Reihe, warum wir das überhaupt gemacht haben, ist, das alles zu entdecken und die Leute das entdecken zu lassen.

Thomas: Dass wir beide sozusagen das Publikum mit auf die Reise nehmen, aber wir eben auch die Reisenden sein dürfen.

Feliks: Wir dürfen zum Beispiel auch einen Film zeigen, den wir danach doof finden.

Feliks: Letztendlich ist das Vorbild für diese Art von Filmreihe ja schon die Creepy Crypt. Die Creepy Crypt ist inzwischen zehn Jahre alt. Und was Daniel da macht, ist ja irre. Der zeigt jede Woche einen neuen Film. Das ist zwar überhaupt nicht mein Genre, aber gleichzeitig habe ich da wahnsinnigen Respekt vor. Und irgendwie habe ich gedacht, dass es sowas für asiatisches Kino halt braucht.

Das Neue Off war das Kino, was ich als Theaterleiter geleitet habe und daher kam die Idee, es hier zu machen. Ein gemeinsamer Kollege hat mich dann mit Thomas zusammengebracht, da Thomas so ein großes Wissen zu asiatischem Kino hatte. Und ich finde es auch doof, alleine zu machen.

Thomas: Ja, das finde ich auch. (lacht)

Feliks: Und dann haben wir uns getroffen, haben Ideen entwickelt, Konzepte und auch Filme, aber dann hieß es ja erst mal ganz lange nein: ‚Ach, da kommt doch keiner!‘ und ‚Es braucht doch keiner!‘ Doch dann kam aber „Drive My Car“ in die Kinos und der war ja ein wahnsinniger Überraschungserfolg. Dieser Film hat sich in jeder Woche einem Saal nach oben gekämpft. Immer einen mehr, immer einen mehr, immer ausverkauft. Und das hat, glaube ich, den Entscheidern gezeigt, dass es ein Publikum dafür gibt.

Wir haben dann immer nach dem Anfang gesucht und letztendlich war dann eben Everything Everywhere All At Once der Moment, wo wir gesagt haben, ‚Okay, jetzt können wir es ausprobieren!‘ Hätte ja aber auch sein können, dass das nur einmal funktioniert. Der zweite Film war I’m a Cyborg, but that’s okay. Und der hat dann auch funktioniert. Ebenso Mother, von Bong Joon-ho danach und da ist es dann ins Rollen gekommen.

Thomas: Das Viertel ist uns auch sehr wohlgesonnen. Man merkt auch, dass es nicht nur die klassischen Arthouse-Kinogänger sind, die hier kommen. Es hat sich immer weiterentwickelt, dass es auch Leute aus der Community sind. Also auch asiatische Kinogänger, die die Untertitel nicht immer brauchen.

Feliks: Ich glaube, es liegt daran, dass das natürlich eine ländliche Beschränkung ist, die wir der Filmreihe geben und natürlich eine kuratorische Beschränkung von unseren Filmgeschmäckern. Langsamkeit, Atmosphäre all diese Sachen. Und trotzdem ist es ja ein wahnsinnig breites Spektrum, das heißt, du hast eigentlich eine riesen Abwechslung.

Wir haben heute, das ist wirklich mal eine größere Ausnahme, eine Action-Comedy, aber dann haben wir in zwei Wochen mit Yi Yi von Edward Yang ein dreistündiges Familiendrama, was ans Herz geht, und zur 100. Ausgabe In the Mood for Love. Aber ich glaube eben, diese Spanne ist so groß und das Potenzial, etwas Neues zu entdecken oder immer wieder etwas Neues zu zeigen, ist eigentlich groß. Wir haben am Anfang gedacht, nach 20 Filmen gehen uns die Filme aus. Das ist nicht passiert. Und das ist ganz schön.

Thomas: Die Leute kommen auch nicht nur wegen den Filmen her. Die mögen wirklich auch die Reihe per se. Die mögen, dass wir uns einen abstrampeln vor der Leinwand. Die mögen die Stimmung hier. Die kommen auch wegen der Mood, sozusagen. Wir haben wirklich viele Stammgäste. Das ist ein ganz fest verankerter Termin für die jeden zweiten Dienstag. Und die kommen einfach her, nach dem Motto: „Ah, es ist in the mood Zeit heute. Da gehe ich einfach hin, weil es mir da gefällt. Und ich lasse mich überraschen, welche Filme da heute kommen und vielleicht schaue ich nicht mal ins Programmheft, sondern gehe einfach blind hin.“

Feliks: Es gibt auch Leute, die jedes Mal kommen und bei jedem zweiten Mal schlafen. Aber sie sind trotzdem da.

Feliks: Ich weiß, aber es ist irgendwie auch geil, weil es ist halt trotzdem voll. Früher haben wir hier Vorstellungen gehabt, die haben wir um 23 Uhr angefangen und da kamen Leute. Das wär ja heute undenkbar.

Thomas: Unser Vorteil ist auch, dass wir einen Zwei-Wochen-Turnus haben. Das heißt, wir haben mehr Raum für die Überlegung, was wir zeigen können. Jede Woche einen Film für die Creepy-Crypt, also einen Genre-Film, rauszusuchen, das ist schon was anderes als jede zweite Woche einen asiatischen Film. Das ist ein anderer Zugzwang.

Feliks: Ein weiterer Faktor ist, dass wir eine Dienstagsvorstellung mit deutschen Untertiteln und eine Sonntagsvorstellung mit englischen Untertiteln haben. Und das holt nochmal mehr Menschen ab. Und tatsächlich ist mir auch schon aufgefallen, dass es recht wenig Filmreihen gibt, die sich auch explizit an ein englischsprachiges Publikum richten. Also ich strampel mir wirklich einen ab am Sonntag, wenn ich da stehe und auf Englisch rede, aber gleichzeitig habe ich das Gefühl, dass es nur inkludierend ist. Ich könnte da jetzt auch auf Deutsch reden, aber dann versteht mich ja ein Dreiviertel nicht. 

Die beiden Kuratoren Feliks Wagner und Thomas Künstle | Foto: Linus Strauß

Feliks: Wir haben ungefähr einen Zweimonatsrhythmus, in dem der Yorcker (das Programmheft der Yorck Kinos) immer herauskommt und das ist tatsächlich ganz gut, denn dadurch brauchen wir immer die nächsten vier Filme auf einmal. In in diesen vier Filmen wollen wir möglichst eine Preview dabei haben, und bestenfalls Filme aus unterschiedlichen Ländern, unterschiedliche Genres abdecken und gerne auch einen Anime drin haben.

Thomas: Ich glaube, wenn wir eine Preview haben, ist es auch der Hauptfilm, um den wir die anderen Termine herumbauen. Aber es ist auch diese Mischung aus, du hast einen Film, den du auf jeden Fall mal im Fernsehen gesehen hast, aber noch nie auf der Leinwand. Dann hast du mal eine Perle, die du überhaupt nicht kennst und total gespannt bist. Wir wollen von den Angeboten viel abdecken. Also die große Leinwand-Bombast-Nachspiel-Geschichte wie Tiger and Dragon oder auch mal sowas wie Mother, was noch nicht viele Leute kennen. Das macht es, glaube ich, auch aus. Dass es immer abwechslungsreich ist. Nicht vom Film, sondern auch vom Bekanntheitsgrad des Films.

Feliks: Aber letztendlich zeigen wir natürlich, was wir gerne selber sehen wollen.  Ich glaube, wir haben nur zwei-, dreimal Sachen gezeigt, wo wir nicht dahinter standen. Aber es gibt eben nicht so viele Releases pro Jahr.

Thomas: Genau, aber mit wirklich vielen Previews hatten wir super viel Glück. Gerade sowas wie Decision to Leave, Monster, Evil Does Not Exist waren große Titel, die auch im Arthouse eine Relevanz hatten. Und wenn wir dann sowas wie Die letzten Glühwürmchen von Ghibli zeigen, ist das super wichtig. Das ist einer der wichtigsten Animationsfilme überhaupt und den hat garantiert kein einziger Mensch auf der großen Leinwand gesehen. Allerhöchstes im Fernsehen. Diese Uniqueness versuchen wir auch bereitzustellen.

Feliks: Also es ist, wie wir vorhin schon gesagt haben: Du siehst einen Film, der holt dich wahnsinnig ab, du bist interessiert an dem. Wir haben zum Beispiel Ran gezeigt von Kurosawa. Wir hatten davor schon Rashomon, dann Ran und haben letztendlich in diesem Jahr alle Kurosawa Filme gezeigt, die wir aktuell zeigen können. Wir zeigen aber keine asiatischen Mainstream-Filme. Also die gibt es auch und die kommen auch raus. Große Produktionen aus China und aus Korea, Thriller, Hau-Drauf-Filme. Das ist nicht so ganz unser Ding. Also es ist nicht so, dass wir einen guten Actionfilm nicht auch mal gut finden.

Thomas: Aber ist ein Arthouse-Filmprogramm und wir spielen anspruchsvolles Kino für Leute, die es mögen. Klar, haben wir mal eine Ausnahme dabei wie Police Story aber genau das macht es dann auch wieder speziell. Außerdem sind wir sind ja auch abhängig von den Verleihern, die uns die Filme ermöglichen können. Police Story hat eine Wiederaufführung. Das ist jetzt nicht etwas, was wir willkürlich ausgesucht haben, sondern der Film kommt sozusagen neu raus.

Feliks: Ich glaube, es gibt auch Ausschlusskriterien. Diese brutalen klassischen asiatischen Filme, die wir uns alle früher auf DVD ausgeliehen haben, aus der Videothek. Das kommt hier eigentlich nicht vor. Wir hatten mal zusammen I Saw The Devil gesehen und waren uns ziemlich sicher: Das können wir nicht zeigen. Das geht einfach nicht mehr. Wie viele Frauen können noch vergewaltigt und umgebracht werden und in der Ecke liegen? Ähnlich war es mal mit Limbo. Ein wahnsinnig fantastisch aussehender Film. Aber wenn eine Frau eingesperrt ist und nur noch eine Stunde lang heult und schreit, weil sie Angst hat vor was auch immer da passiert ist, habe ich das Gefühl, das musst du den Leuten nicht antun.

Thomas: Wir grenzen uns ja auch ein bisschen ab von der Creepy Crypt. Wir betreten auch nicht immer das Feld des anderen. Wir haben natürlich auch schon mal ein paar genrelastige Dinger gezeigt, wie Oldboy oder die komplette Vengeance-Trilogie von Park Chan-wook, aber das ist auch eine Ausnahme.

Feliks: Das heißt aber nicht, dass es nicht inhaltlich hart sein darf. Ich glaube, es geht ein bisschen um Gewalt.

Thomas: Genau. Also gutes Arthouse darf auch mal anecken, aber es ist eine Arthouse-Filmreihe, die im Kern sozusagen einen gewissen Anspruch hat, den wir gerne präsentieren möchten.

Feliks: Ich denke, er ist ruhiger, langsamer. 

Thomas: Er erklärt nicht so viel. Er macht es einem nicht so einfach. 

Feliks: Genau. Die Idee, dass du einen Film mehrmals gucken kannst oder vielleicht sogar musst, um ihn zu verstehen, ist was, was es garantiert im europäischen Arthouse-Kino auch gibt, aber was mir weniger in den Kopf schießt, wenn ich darüber nachdenke. Was man im asiatischen Bereich aber viel findet und wo wir ja auch die ganze Zeit was entdecken. Ich glaube als wir angefangen haben zu kuratieren, waren wir viel mit Japan und Korea beschäftigt. Inzwischen bin ich am meisten excited, wenn es um China und Taiwan geht, weil das für mich vielleicht auch noch ein bisschen der unentdeckteste Teilbereich ist. Ich glaube auch die Herangehensweise der Regisseure, der Kunstbegriff an sich ist für mich auf jeden Fall faszinierender im asiatischen Arthouse-Bereiche als im europäischen. Das ist aber vielleicht auch, weil wir das eben gerade so machen.

Thomas: Asiatisches Kino ist teilweise super mutig, auch super experimentell und sehr clever. Die Filme haben so eine Einzigartigkeit, die man vielleicht beim europäischen Wellness-Arthouse vermisst. Die Filme sind auch mutiger und haben nicht so einen Drang, ein Crowdpleaser zu sein. Wir hatten zum Beispiel mit Return to Dust einen unfassbaren Film in der Reihe, der uns beide bei der Sichtung total überrascht hatte, weil er so unglaublich atmosphärisch und intensiv ist. Das ist ein Film über ein Bauernpaar aus China. Das ist so eine Welt, die einen total packen kann.

Thomas: Die Kommerzialität ist nicht bei jedem asiatischen Film gegeben und ein Filmverleih muss sehr viel Geld ausgeben für den Erwerb des Films und auch für den Vertrieb. Man muss sich auch sicher sein, dass der Film funktioniert. So was wie Parasite war natürlich auch ein sehr großer Überraschungserfolg. Aber wenn man sich jetzt Shoplifters anschaut, dann ist es halt ein interessanter Film, der aber durchaus eine breitere Masse ansprechen kann. Unglaublich tolle Filme wie Monster oder Evil Does Not Exist haben nicht so viele Leute flächendeckend in deutschen Kinos gesehen, weil die halt ein bisschen spezieller sind und nicht die breite Masse ansprechen.

Feliks: Meine Mutter war einmal bei in the mood. Und das war ein Film, da ging es um Katzen. Ich finde, das erklärt es eigentlich ganz gut. Das ist letztendlich eine total nischige Art von Film. Ich glaube, das war ja auch ein Grund, warum wir diese Filmreihe überhaupt gegründet haben. Damit man dem einen Rahmen gibt. Wenn du diese Filme zeigst ohne einen Rahmen, laufen sie vor sich hin in der Nachmittagsvorstellung und keiner kommt. Wenn du das aber machst, wie in einer Sektion bei einem Festival, hast du eben diesen Event-Charakter und diesen anderen Flair, auch kleine Filme, die ganz fantastisch sind, so zu entdecken.

Thomas: Ja, das stimmt. Du musst dem Film eine Begleitung geben und dann wird der Zuschauer eher abgeholt. Wir müssen theoretisch auch nichts vor dem Publikum sagen, machen wir aber, weil wir wichtig finden, dass der Rahmen stimmungsvoll und angenehm ist. Der direkte Kontakt mit dem Publikum macht auch sehr viel vom Erfolg der Reihe aus.

Feliks: Wir hatten dieses Jahr eine lustige Idee, die sich dann als etwas total Schönes herausgestellt hat. Wir haben Caught by the Tides von Jia Zhanke gezeigt, was ja ein mehr oder weniger zusammengebastelter Film aus all seinen Filmen der letzten 20 Jahre war. Dann haben wir den Menschen eine Hausaufgabe gegeben und haben gesagt: „Okay, guckt euch mal diese fünf Filme an, dann werdet ihr mehr Spaß haben, den Film zu schauen.“

Feliks: Naja, sie haben die Hausaufgaben nicht so unglaublich gut erledigt, aber trotzdem hat es was gebracht und ich hatte das Gefühl, es war ein kuratorischer Rahmen. Ich selber habe den Film viel mehr genießen können als beim ersten Mal. Beim ersten Mal habe ich gesagt, den kannst du niemandem zeigen.

Feliks: Auf jeden Fall.

Thomas: Die Qualität muss stimmen. Du musst den Besucher ein bisschen an der Hand nehmen, damit er sich reintraut.

Feliks: Und dann sind wir ja auch davor da und danach mit den Menschen bereit zu quatschen. Und ich glaube, wenn die Leute ein Vertrauensverhältnis aufbauen, was Thomas auch schon meinte, dann kannst du sie eben auch mal in einen Film mitnehmen, den sie sich sonst niemals angucken würden. Aber weil ich oder Thomas dann sagen, „Das ist ein wirklich toller Film, du kennst mich, vertrau mir.“ funktioniert das ab und zu. Wir haben zum Beispiel einen Film gezeigt, Sleep With Your Eyes Open, der lief in der Berlinale, in dieser Sektion, die es gar nicht mehr gibt. Und trotzdem war das ein halbwegs voller Saal voller interessierter Leute, weil sie, glaube ich, verstanden haben, was uns daran gefallen hat.

Feliks: Das hat zweierlei Gründe. Erstens macht’s den Programm-machenden Spaß und es zieht. Man merkt es ja, Repertoire zieht inzwischen viel, viel mehr. Kino ist nicht mehr nur ein Ort für neue Filme, sondern kann auch wie eine Art Museum gesehen werden. Jede von diesen Filmreihen ist unterschiedlich. Die längst laufende Filmreihe, die wir haben, ist die Mongay, dann kommt die Creepy Crypt, dann kommen wir und letztendlich durch diesen Erfolg von in the mood, das kann man schon stolz sagen, sind all diese anderen Filmreihen mehr oder weniger jetzt entstanden.

Thomas: Die Leute wollen auch alte oder ältere Filme sehen.

Thomas: Das Ding ist, wenn du ältere Filme sehen könntest auf deinem Fernseher zu Hause oder auf der großen Leinwand, dann ist ja klar, wo man eigentlich hingehen möchte. Und wenn du dann Matrix nochmal auf der großen Leinwand sehen kannst, warum denn nicht?

Feliks: Früher habe ich Fernsehen geguckt oder war in einer Videothek. Heute habe ich zu Hause ja noch nicht mal mehr eine Aufmerksamkeitsspanne, die länger ist als eine Minute. Ich kann ja gar nicht mehr Fernsehen gucken, ohne mein Handy in der Hand zu haben. Ich spreche von mir selber und ich glaube, es geht vielen Leuten so. Und diese Konzentration und dieses gemeinsame Schauen ist deswegen jetzt viel mehr in den Köpfen der Leute. Ich bin mir nicht ganz sicher, ob das auch etwas damit zu tun hat, dass die Welt konservativer wird, und wir gucken alle nur zurück. Aber ja, das ist ein Trend, der vielleicht auch wieder abnehmen wird.

Feliks: Letterboxd erfüllt all das, was ich mein Leben lang gerne gemacht habe: Listen schreiben und irgendwie festzuhalten, was ich wann geguckt habe. Und dass es das jetzt gibt und dann Leute das auch noch liken und sehen können, ist toll. Und für uns als Film oder Kinomachende ist es natürlich auch schön, nach einem gezeigten Film auf Letterboxd zu gehen und sich all die Gedanken der Zuschauer, durchzulesen und wie deren Erlebnis war. Denn es geht ja immer alles einher:  der Film selber, der Inhalt, die Stimmung und die Atmosphäre, in der man das gesehen hat.

Feliks: Ein paar Sachen sind klar. Wir haben tatsächlich noch nie Shoplifters gemacht, wir haben kein Parasite gemacht, wir haben kein Drive My Car gemacht, das sind alles neuere Sachen.

Thomas: Das ist auch der Grund, weil wir ein bisschen Abstand haben wollen und dann eher warten.

Feliks: Aber wenn du das spezifisch fragst, es gibt ganz viele Filme, für die es keine Filmrechte gibt. Wir würden so unglaublich gerne Ozu zeigen, wie schön das wäre! Oder tatsächlich die älteren Filme von Bi Gan, wo Resurrection nächstes Jahr rauskommt. Yi Yi war ein Film, den wir ab Minute 1 zeigen wollten und jetzt ging es endlich und so wird sich’s entwickeln. Naja, und dann haben wir noch Akira, das wird dann so der Bonus irgendwann, nächstes Jahr wahrscheinlich.

Thomas: Der Arbeitsprozess der nächsten 100 Filme ist wahrscheinlich genau gleich wie der Arbeitsprozess der ersten 100 Filme. Außer, dass wir selbstbewusster an die Sache rangehen und vielleicht ein besseres Auge haben, was funktioniert und was nicht, aber die persönliche Liebe ja noch bleibt, einfach Filme mit anderen Menschen zu entdecken.

Hinterlasse einen Kommentar